Mein, dein, unser Saatgut!

Früher war das Saatgut frei.

Eine aktuelle Studie (Concentration of Market Power in the EU Seed Market) der EU belegt, daß heute 95% des Gemüsesaatguts der EU von nur fünf Agro-Chemie-Konzernen kontrolliert werden. Dieselben Konzerne liefern auch erdölbasierte Mineraldünger und Pestizide. Der Bauer kauft alles - sehr praktisch - aus einer Hand.

Wollen wir diese Abhängigkeit von einigen wenigen Konzernen?

Nach dem ökologischen Raubbau durch Monokulturen, die ohne gesunden Boden, ohne Humus und ohne Fruchtfolge auskommen und durch ihre Gifte alles weitere Leben (Stichwort Bienen) umbringen, stellt sich die Frage, wie wir dem entgegenwirken können.

Urbaner Gartenbau bietet viele Lösungen gegen die Abhängigkeit von großindustrieller Landwirtschaft.

Bis in die frühe Nachkriegszeit war es üblich, einen Teil seines Gemüsebedarfes im eigenen Garten zu ziehen. Der Kordon-Berg ist das beste Beispiel dafür: Ursprünglich dienten unsere Gärten der Selbstversorgung im und nach dem Krieg. Hier wuchsen Obst und Gemüse. Heute zeugen nur noch ein paar alte Obstbäume von dieser Geschichte, viele von ihnen werden nicht mehr beerntet. Angesichts der Dumpingpreise in den Handelsketten (auch hier eine Marktkonzentration von 80% in Österreich) scheint es billiger, Obst und Gemüse beim Diskonter einzukaufen, statt es selbst anzubauen.

Vorausgesetzt, wir rechnen alles nur in Geldwert ab. Wer aber kann den unvergleichlichen Geschmack frischer Cocktailparadeiser aus dem eigenen Garten in Geld berechnen? Wer vermag zu sagen, was die Gaumenfreude einer Handvoll Kräuter im Salat wert ist? Wieviel kosten die Sinnesfreuden beim Anblick der großen, gelben Zucchini­blüten? Und wo gibt es den zarten Duft des Hollers zu kaufen? Was kostet eine Handvoll Erdmandeln? Und was ist unser Gemüsegarten für unsere Gesundheit wert?

Die Alternativen zu Monokulturen, großindustrieller Landwirtschaft und Marktkonzentration liegt in der Vielfalt.

Wer hat nicht schon gestaunt über den wundervollen Geschmack der vielen bunten Paradeisersorten? "Sortenraritäten" heißt das in den Supermärkten. Früher waren das "Sorten­normalitäten": Der Großteil ist im letzten Jahrhundert verloren gegangen, aber noch werden hunderte Gemüsesorten von unzähligen kleinen Saatgutvermehrern erhalten, züchterisch verbessert und vermehrt. Die EU-Saatgutverordnung ist gerade abgeleht worden, aber niemand kann ernsthaft glauben, daß die großen Konzerne davon ablassen werden, sich auch die restlichen 5% des Gemüse-Saatgutmarktes einverleiben zu wollen. Wir müssen die Rechte, die wir noch haben, auch mit Leben erfüllen.

Unsere Gärten können uns mit frischem Gemüse, Obst und Kräutern versorgen.

Wir können auch das Obst ernten und gemeinsam zu Saft verarbeiten. Wir können vieles tun auf diesem Berg, der über kein einziges Lebensmittel­geschäft verfügt und vollständig von der Versorgung durch weit entfernte Märkte abhängig ist.

In der Zyklamengasse halten ein paar engagierte JunggärtnerInnen jährlich einen Samen- und Pflanzentauschmarkt ab:

Wir tauschen alles - von Gemüse über Kräuter hin zu alten Bauerngartenblumen. Die Vielfalt möge in unsere Gärten einziehen und wer nichts zu tauschen hat, kann gerne zu einer gemeinsamen Jause beitragen. Saatgutvielfalt und kulinarische Vielfalt gehören zusammen. "Wer Saatgut kontrolliert, kontrolliert unsere Lebensmittel" sagt Vandana Shiva.

Text und Fotos: Valerie Rosenburg

Weitere nützliche Informationen:

Saatgut, Saatgutpolitik, "Handbuch Samengärtnerei" und "Lehrgang Samengärtnerei": www.arche-noah.at

Saatgut, Tauschmärkte, Kurse, Veranstaltungen, Literatur:

www.cityfarm.at, www.gartenpolylog.org, www.ochsenherz.at, www.permakultur-akademie.com, www.reinsaat.at, www.therapiegarten.at

Zurück